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Zuständigkeit der europäischen Gerichte bei grenzüberschreitenden Patentverletzungen – EuGH BSH v Electrolux

Eine weitere Grundsatzentscheidung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte der EU-Mitgliedsstaaten sorgt dieser Tage für Furore. Am 25.02.2025 hat der EuGH seine lang erwartete Entscheidung im Fall BSH Hausgeräte vs Electrolux (C-339/22) veröffentlicht.

Vorgeschichte und Vorlagefragen

Ausgangspunkt des Vorabentscheidungsgesuchs an den EuGH ist ein Patentverletzungsverfahren in Schweden. Die BSH Hausgeräte GmbH erhob dort im Jahr 2020 eine Klage wegen Verletzung aller nationalen Bestandteile eines europäischen Patents gegen die Electrolux AB. Das Klagepatent wurde in Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, im Vereinigten Königreich und in der Türkei validiert.

Elektrolux rügte die Unzulässigkeit der Anträge in Bezug auf die Verletzung der nationalen Bestandteile, mit Ausnahme des schwedischen. Kern der Rüge war der Einwand, dass die nicht-schwedischen Patente ungültig seien und dass das schwedische Gericht entsprechend nicht dafür zuständig sei, über die Verletzung zu entscheiden.

Das Gericht erklärte sich Ende 2020 für alle nicht-schwedischen Patente für unzuständig auf Grundlage von Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO. Gegen diese Entscheidung ist BSH in Berufung gegangen. Das Berufungsgericht hatte vor dem Hintergrund der Ausnahmeregelung in Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO ebenfalls Zweifel an der Zuständigkeit der schwedischen Gerichte.

Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaats von Beklagten (Art. 4 Brüssel-Ia-VO). Hiernach sind für Verfahren, welche die „Gültigkeit von Patenten […] zum Gegenstand haben“ ohne Rücksicht auf den Wohnsitz, die Gerichte des Mitgliedsstaats ausschließlich zuständig, für den das europäische Patent erteilt wurde. Diese Zuständigkeit gilt nach dem weiteren Wortlaut der Regelung „unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird“.

Vor diesem Hintergrund setzte das schwedische Berufungsgericht das Verfahren aus und legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor (von der Autorin zusammengefasst).

1. Verliert ein nationales Gericht, das nach Art. 4 Abs. I Brüssel-Ia-Verordnung zuständig ist, seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Verletzungsklage, wenn einredeweise die Ungültigkeit des Klagepatents geltend gemacht wird oder ist das Gericht lediglich für die Entscheidung über die Einrede der Ungültigkeit unzuständig?

2. Findet Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO auf Drittstaaten (non-EU) Anwendung?

3. Kann sich eine nationale Regelung auf die Auslegung von Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO auswirken?

Die Beantwortung der Fragen 1 und 2 dürfte für Patentverletzungsverfahren in der EU große Relevanz haben.

Die Entscheidung

Geltendmachung eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Patents

Der EuGH beschäftigt sich zunächst mit der Konstellation, in der die klagende Partei vor dem Gericht des EU-Wohnsitzes der Beklagten einen anderen nationalen Teil eines Europäischen Patents geltend macht und die Beklagte die Einrede der Nichtigkeit erhebt.

Die Zuständigkeit des Wohnsitz-Gerichts ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO, der die Zuständigkeit allerdings nur vorbehaltlich der weiteren Regelungen begründet.

Nach Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO sind die Gerichte des Mitgliedstaats der Patenterteilung ausschließlich zuständig, über einen Angriff der Gültigkeit des Patents zu entscheiden, unabhängig davon, ob eine solche Anfechtung im Wege der Klage oder im Wege der Einrede geltend gemacht wird (Kodifizierung EuGH GAT v LuK, C-4/03).

Daraus folgt bereits nach der GAT-Rechtsprechung, dass es einem Gericht, das mit einem Verfahren wegen der Verletzung eines von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Patent befasst ist, in dessen Rahmen die Gültigkeit des Patents angegriffen wird, nicht gestattet ist, inzident die Nichtigkeit des Patents festzustellen. Es muss sich hinsichtlich der Frage der Gültigkeit des Patents für unzuständig erklären.

Darüber hinaus hatte der EuGH nun zu klären, ob das Wohnsitz-Gericht der Beklagten unter solchen Umständen zuständig bleibt, über die Patentverletzungsklage zu entscheiden, oder ob es sich insgesamt für unzuständig zu erklären hat.

Hier wird es nun interessant, denn der EuGH stellt fest, dass das Gericht des Wohnsitzes seine Zuständigkeit über die Verletzungsklage nicht verliert. Die nachfolgenden Überlegungen leuchten unmittelbar ein. Neben dem Prinzip, dass Ausnahmen von Grundsätzen eng auszulegen sind, würde bei anderer Auslegung die Ausnahme zur Regel. Denn in einem Großteil der Patentstreitigkeiten greift die Beklagte den Rechtsbestand des Klagepatents an. Dann hätte die Beklagte es nicht nur in der Hand, durch die eigene Verteidigungsstrategie die Zuständigkeit des Gerichts zu entziehen, sondern könnte auch entscheiden, wann sie dies tut. Dann müsste sich ein ordnungsgemäß befasstes Gericht aufgrund einer Handlung der Beklagten für unzuständig erklären. Dies würde mangels Verweismöglichkeit zur Beendigung des Verfahrens führen. Die Brüssel-Ia-VO soll aber gerade durch ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften Rechtssicherheit gewährleiten.

Der EuGH verweist weiter auf die Vorteile seiner Auslegung: So wird Inhaberinnen und Inhabern von EPs, deren Schutzrecht von derselben Beklagten in mehreren Mitgliedstaaten verletzt wird, ermöglicht ihre Ansprüche zu bündeln und eine umfassende Entschädigung an einem einzigen Gerichtsstand zu erhalten. Dies vermeidet auch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.

Wer nun auf die Idee kommt, dass der EuGH damit Beklagten die Einrede des mangelnden Rechtsbestands als Verteidigung nimmt, muss das Urteil des EuGH weiter studieren. Denn dieser stellt explizit klar, dass die Trennung von Verletzung und Rechtsbestand nicht dazu führt, dass das Verletzungsgericht außer Acht lassen muss, wenn von der Beklagten in einem anderen Mitgliedsstaat ordnungsgemäß Klage auf Nichtigerklärung erhoben wurde. Ist das Wohnsitz-Gericht der Auffassung, dass eine vernünftige und nicht zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, dass das Patent für nichtig erklärt wird, kann es das Verletzungsverfahren aussetzen.

Geltendmachung eines in einem Drittstaat erteilten Patents

Darüber hinaus hatte der EuGH zu klären, wie es sich mit der Zuständigkeit des Wohnsitz-Gerichts verhält, wenn die Klägerin ein in einem Drittstaat erteiltes Patent geltend macht.

Zunächst stellt der EuGH hierzu fest, dass es sich bei der Brüssel-Ia-VO um interne Zuständigkeitsregelungen der EU handelt. Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO kann somit keine Anwendung finden und einem Gericht eines Drittstaats somit keine Zuständigkeit zuweisen.

Mangels Sonderbestimmungen bliebe die Zuständigkeit über die Einrede der Nichtigkeit zu entscheiden nach Art. 4 I Brüssel-Ia-VO beim Wohnsitz-Gericht. Eine Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-VO entsprechende Sondervorschrift enthält z.B. das Lugano-Abkommen (Norwegen, Island, Schweiz). Mit weiteren Drittstaaten können bilaterale Übereinkünfte eine Rolle spielen. Liegen solche nicht vor, wie bei der Türkei, sind noch Art. 33 und Art. 34 Brüssel-Ia-VO zu beachten.

Im Übrigen verbleibt die Zuständigkeit über die Nichtigkeitseinrede zu befinden nach der Entscheidung des EuGH bei dem angerufenen Wohnsitz-Gericht. Nach den Feststellungen des EuGH verstößt dies insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Nichteinmischung des Völkerrechts (ein Staat darf sich nicht in Angelegenheiten einmischen, die im Wesentlichen in die nationale Zuständigkeit eines anderen Staats fallen). Denn die Entscheidung über den Rechtsbestand im Rahmen einer Einrede im Verletzungsverfahren hat formell keinerlei Auswirkungen auf das tatsächliche Bestehen oder den Inhalt des Patents in dem Drittstaat. Eine solche Entscheidung hat nach den Ausführungen des EuGH ausschließlich Wirkungen inter partes, denn die Einrede zielt lediglich darauf ab die Abweisung der Klage und nicht die Nichtigerklärung des Patents zu erreichen.

Praktische Auswirkungen

So verlockend es klingen mag, die einfache Bündelung aller Verletzungsansprüche vor einem Gericht auszurufen, steckt der Teufel doch im Detail.

Zunächst bedarf es einer tauglichen Beklagten, die ihren Sitz in dem passenden EU-Mitgliedstaat hat. Dieser Beklagten können nun alle Verletzungshandlungen innerhalb und außerhalb der EU vorgeworfen werden. Es müssen allerdings Verletzungshandlungen dieser Beklagten sein. Hier kommt es bereits im Detail auf die Konzernstruktur und den Aufbau der Vertriebskette an.

Ist eine solche Beklagte gefunden, kann das Wohnsitz-Gericht wegen der Patentverletzungen in mehreren Ländern angerufen werden. Ob ein solches Vorgehen auf Klägerseite von Erfolg gekrönt sein wird, hängt von der eigenen Vorbereitung und der Reaktion der Beklagten ab. Neben der Darlegung der Verletzungshandlungen richtet sich die Beurteilung der Verletzung und des Rechtsbestands nach dem Recht des Staats für den Schutz beansprucht ist (Art. 8 I Rom II-VO). Die Klägerin muss also die Verletzung nach dem Recht des Erteilungsstaates vortragen und gegebenenfalls Beweis hierzu erbringen.

Klägerinnen, die von der neuen Rechtsprechung des EuGH also Gebrauch machen wollen, müssen einige Hürden nehmen, die mit mehr oder weniger Aufwand verbunden sein können. Es gilt weiterhin sehr genau zu prüfen, ob der zu erwartende Aufwand und die möglicherweise zu erwartenden Verzögerungen im Verletzungsverfahren, dem Interesse und den wirtschaftlichen Erwartungen an ein Verletzungsverfahren entsprechen.

Und diese Grundsätze sind nunmehr auf das UPC zu übertragen. Das EPGÜ gilt nach Art. 3 EPGÜ für alle EP mit einheitlicher Wirkung und alle EP für die kein Opt-out erklärt wurde. Die Reichweite dieser Schutzrechte ist insoweit auf die Vertragsmitgliedsstaaten des EPÜ begrenzt. Diese sind wiederum in EU und nicht-EU Staaten zu unterteilen. Das Gericht wird dann wie oben beschrieben vorgehen. Insoweit hat die Lokalkammer Düsseldorf die Entscheidung des EuGH in seiner Entscheidung Fujifilm vs Kodak (Urt. 28.01.2025, CFI_355/2923) bereits antizipiert und sich richtigerweise für zuständig erklärt über den UK-Teil eines EP zu entscheiden. Hier kam es aufgrund von Zweifeln am Rechtsbestand letztlich aber nicht mehr auf die Verletzung an (mehr hierzu im Blogartikel meines Kollegen Carsten Plaga).

Dr. Katharina Brandt