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Zur Zustellung der Klageschrift gegenüber ausländischen Beklagten in Verfahren vor dem EPG

Das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) hat sich in einer Reihe von Entscheidungen mit der Frage beschäftigt, welche Voraussetzungen an eine Klagezustellung an Beklagte zu stellen sind, die ihren Sitz außerhalb der EPG- und EU-Mitgliedsstaaten haben.

  • Anordnung vom 29.07.2024, CoA_69/2024 – APL_8972/2024
  • Anordnung vom 29.07.2024, CoA_70/2024 – APL_8977/2024
  • Anordnung vom 06.08.2024, CoA_205/2024 – APL_24585/2024
  • Anordnung vom 05.08.2024, CoA_183/2024 – APL_21602/2024
  • Anordnung vom 05.08.2024, CoA_86/2024 – APL_10370/2024

I. Sachverhalt

Verklagt waren jeweils sowohl Beklagte mit Sitz in den EPG-Mitgliedsstaaten (insbesondere der Bundesrepublik Deutschland; nachfolgend vereinfacht „europäische Beklagte“) also auch Beklagte, die ihren Sitz weder in den EPG-Mitgliedsstaaten noch in den EU-Mitgliedsstaaten hatten (Asien; nachfolgend vereinfacht „asiatische Beklagte“). Bei sämtlichen Beklagten handelt es sich um voneinander unabhängige Gesellschaften innerhalb der Gesamtkonzernstruktur. Zumeist war die asiatische Beklagte höher in der Konzernstruktur angesiedelt (Mutterkonzern).

II. Fragestellung

Die Klägerinnen waren der Ansicht, dass die Klage am Sitz der europäischen Beklagten mit Wirkung gegenüber der asiatischen Beklagten zugestellt werden kann, da diese innerhalb der Konzernstruktur miteinander verwoben sind.

Insoweit verwiesen sie zunächst auf R. 271.5 lit a) EPG VerfO, wonach die Zustellung innerhalb der EPG-Vertragsmitgliedsstaaten an folgendem Ort zu bewirken ist (Hervorhebung hinzugefügt):

„ist der Beklagte eine Gesellschaft oder eine andere juristische Person, an seinem satzungsgemäßen Sitz, seiner Hauptverwaltung oder dem Sitz seiner Hauptniederlassung innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten oder an jedem anderen Ort innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten, an dem die Gesellschaft oder andere juristische Person einen dauerhaften oder vorübergehenden Geschäftssitz hat“

Die Differenzierung innerhalb der ersten Variante ist vorliegend nicht Belang, sodass im Folgenden lediglich von „Hauptsitz“ und „Geschäftssitz“ einer Beklagten die Rede ist.

Weiterhin verwiesen die Beklagten auf R. 275 EPG VerfO. Diese regelt in Abs. 1:

„Konnte eine Zustellung nach Abschnitt 1 oder 2 nicht vorgenommen werden, kann das Gericht auf Antrag des Klägers die Zustellung nach einem alternativen Verfahren oder an einem anderen Ort durch Anordnung zulassen, wenn es der Auffassung ist, dass gute Gründe dafür vorliegen, die Zustellung nach einem nach diesem Kapitel sonst nicht vorgesehenen Verfahren oder an einem nach diesem Kapitel sonst nicht vorgesehenen Ort zu gestatten.“

In Abs. 2 heißt es:

„Auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag des Klägers kann das Gericht anordnen, dass die Schritte, die bereits unternommen wurden, um dem Beklagten die Klageschrift nach einem alternativen Verfahren oder an einem anderen Ort zur Kenntnis zu bringen, eine rechtsgültige Zustellung darstellen.“

III. Lokalkammern lehnten wirksame Zustellung ab

Die Lokalkammern stellten in ihren Anordnungen fest, dass die Anwendung der R. 275 EPG VerfO jedenfalls einen vorherigen Zustellungsversuch voraussetze. Dieser Zustellungsversuch könne nicht bei einer anderen juristischen Person erfolgen, da sonst die Gefahr bestehe, dass höherrangige Zustellungsvorschriften ausgehebelt würden (vgl. etwa Anordnung der Lokalkammer Mannheim vom 09.02.2024 – UPC_CFI_223/2023).

IV. Relevante EuGH-Rechtsprechung:

Die Lokalkammern bezogen sich dabei maßgeblich auf die Rechtsprechung des EuGH.

Dieser hat bereits in seinem Urt v. 19.12.2012 – C-325/11, EuZW 2013, 187 – Alder klargestellt, dass der nationale Gesetzgeber höherrangige Zustellungsregelungen, wie die EuZVO ((EG) Nr. 2020/1784, damals noch (EG) Nr. 1393/2007) nicht aushebeln darf. Nationale Zustellungsregelungen sind daher so auszulegen, dass sie nicht gezielt den Anwendungsbereich höherrangiger Zustellungsregelungen begrenzen, indem sie etwa festlegen, dass in bestimmten Fällen ein Schriftstück nicht körperlich in das Ausland zu übermitteln ist. Kann die nationale Vorschrift nicht europarechtskonform ausgelegt werden, ist sie europarechtswidrig.

Weiter hat der EuGH t kürzlich entschieden, dass Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 101 AEUV in Verbindung mit der EUZVO (noch Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 […]) dahin auszulegen sind, dass

„eine Muttergesellschaft, gegen die eine Klage auf Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens erhoben wurde, nicht rechtswirksam geladen wurde, wenn die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an der Adresse ihrer im Mitgliedstaat der Klageerhebung ansässigen Tochtergesellschaft erfolgte; dies gilt auch dann, wenn die Muttergesellschaft mit dieser Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bildet.“

EuGH, Urteil vom 11.07.2024 – C-632/22, NZKart 2024, 446 – Volvo

Der EuGH bestärkt damit die Unabhängigkeit von Gesellschaften, selbst wenn sie demselben Konzern angehören.

Die Entscheidung ist wegen ihres rechtlichen Aufhängers an Art. 47 der Charta der Grundrechte und der EuZVO auch auf andere Rechtsgebiete als das Kartellrecht übertragbar, vgl. Rz. 54 der Entscheidung. Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährt seine Recht hierüber hinaus auch Beklagten aus Nicht-EU-Staaten, da Art. 47 nicht darauf abstellt, wo jemand ansässig ist, sondern, ob seine Rechte innerhalb der EU betroffen sind, also auch innerhalb eines europäischen Gerichtsprozesses.

V. EPG-Berufungsgericht bestätigt, dass Zustellung nicht wirksam

 Unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des EuGH ordnete das EPG-Berufungsgericht an, dass zuerst ein verfahrensrechtlich vorgesehener Zustellungsversuch erfolgen muss, bevor die Zustellung durch alternative Verfahren oder an einem alternativen Ort (R. 275 EPG VerfO) zulässig ist. R. 275.2 EPG VerfO setzt lso wie R. 275. 1 EPG VerfO einen verfahrensrechtlich vorgesehenen Zustellungsversuch voraussetzt. Der Wortlaut lässt dies offen zwar offen. Die Systematik und die Gefahr, dass internationale Zustellungsregelungen ausgehebelt werden (s.o.) sprechen nach Ansicht des EPG- Berufungsgerichts jedoch dafür.

Das EPG-Berufungsgericht geht sodann der Frage nach, ob ein tauglicher Zustellungsversuch am Sitz der europäischen Beklagten mit Wirkung gegenüber der asiatischen Beklagten nach R. 271.5 lit a) EPG VerfO vorliegt. Genau genommen wäre bei Bejahung dieser Frage die Zustellung schon ipso iure erfolgt. Die Klägerinnen vertraten daher vereinzelt die Auffassung, dass R. 275 Abs. 2 EPG VerfO dem Gericht auch in diesem Fall die (Feststellungs) Befugnis gibt, anzuordnen, dass eine rechtsgültige Zustellung erfolgt ist.

Das EPG-Berufungsgericht entschied, dass sich aus dem Wortlaut von R.271.5 lit. a) EPG VerfO deutlich ergebe, dass (Hervorhebung hinzugefügt)

„er nur für Zustellungen an Gesellschaften oder andere juristische Personen gilt, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in den Vertragsmitgliedstaaten haben. Dies wird durch die Wahl der Formulierung im zweiten Teil des Satzes deutlich, in dem auf „die Gesellschaft“ Bezug genommen wird. Der Verweis auf „die Gesellschaft“ verweist auf den ersten Teil des Satzes, in dem eine solche Gesellschaft definiert wird, d.h. eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in den Vertragsmitgliedstaaten.

Der Wortlaut des zweiten Teils von R.271.5 lit. a) VerfO sieht somit Orte vor, an denen die Zustellung im EPG-Gebiet erfolgen kann, als Alternative zur Zustellung an eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in den Vertragsmitgliedstaaten. Diese Bestimmung sieht also alternative Zustellungsorte für einen Beklagten vor, der im EPG-Gebiet ansässig ist. Die Zustellung kann dann an jedem anderen Ort innerhalb der Vertragsmitgliedstaaten erfolgen, an dem die Gesellschaft oder andere juristische Person einen dauerhaften oder vorübergehenden Geschäftssitz hat.“

  1. 271.5 lit a) EPG VerfO ist nach dem EPG-Berufungsgericht daher in jedem Fall nur auf Beklagte anwendbar, die ihren Hauptsitz innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten haben. Europäische Beklagte können daher kein dauerhafter oder vorübergehender Geschäftssitz einer asiatischen Beklagten sein.

Das EPG-Berufungsgericht schließt insoweit grundsätzlich eine Auslegung von 271.5 lit a) zweite Alternative EPG VerfO, wonach einer asiatischen Beklagten (Hauptsitz außerhalb der EPG-Vertragsmitgliedsstaaten) jemals eine Klage innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten zugestellt werden kann, selbst wenn diese dort nach eigenen Angaben einen vorübergehenden oder dauerhaften Geschäftssitz eingerichtet hat.

VI. Bewertung und praktische Auswirkungen

Juristisch nachvollziehbar ist aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Trennung der Beklagten noch, dass bei Tochtergesellschaften keine Zustellung gegenüber der Muttergesellschaft erfolgen kann (vgl. EuGH Volvo oben).

Die weitere Auslegung des EPG-Berufungsgerichts erscheint jedoch nach Auffassung des Autors zu eng, insbesondere mit Blick auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung (Aldar). Der EuGH macht klar, dass es lediglich darum geht, zu verhindern, dass dem Beklagten ein Schriftstück, etwa eine Klage, tatsächlich nicht körperlich erreicht (sog. fiktive Inlandszustellung). Unterhält ein Beklagter innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten aber einen vorübergehenden oder dauerhaften Geschäftssitz, muss er sich hieran festhalten lassen und hier eine Zustellung gegen sich gelten lassen. Im Einzelfall ist natürlich zu prüfen, ob ein Geschäftssitz im Sinne der Vorschrift vorliegt.

Entsprechend erlaubt die deutsche ZPO die Zustellung an jedem Ort, an dem eine Person angetroffen wird, vgl. § 177 ZPO. In Messesachen kann ferner § 178 Abs. 1 ZPO herangezogen werden. Ein Messestand gilt üblicherweise als Geschäftsraum in diesem Sinne.

Nach der Rechtsprechung des EPG-Berufungsgerichts wäre es hingegen bspw. unmöglich, in Verfahren über einstweiligen Maßnahmen schnell eine Einstweilige Anordnung etwa am Messestand einer asiatischen Beklagten zuzustellen, vgl. R. 276 EGP VerfO, der auf die vorherigen Zustellungsregelungen, also auch R. 271.5 lit a) EGP VerfO verweist. Dies ist insbesondere erforderlich, wenn der Antragsgegner noch nicht anwaltlich vertreten ist.

Es ist daher zu hoffen, dass das EPG-Berufungsgericht diese Rechtsprechung in Zukunft noch einmal in den Blick nehmen wird.

Robert Knaps