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Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf: Besichtigungsverfahren bei laufendem Vergabeverfahren

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2022 – Az. 15 W 14/21

Der 15. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 23.03.2022 (Az. 15 W 14/21) entschieden, dass der Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte auch während eines laufenden Vergabeverfahren für Anträge auf Durchführung eines Besichtigungsverfahren sowie Duldungsverfügungen eröffnet ist. Das Gericht begründete im konkreten Fall außerdem, dass eine „Erprobung“ eine Verletzungshandlung i.S.v. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG sei und dass die Besichtigung auch bei dem Empfänger der Muster erforderlich sei.

I. ZUM SACHVERHALT

Die Antragstellerin ist Inhaberin eines Patents, das ein Waffenverschlusssystem betrifft. Sie bewarb sich, ebenso wie die Antragsgegnerin zu 1), auf eine europaweite öffentliche Ausschreibung der Antragsgegnerin zu 2) für die Herstellung und Lieferung von Sturmgewehren (Vergabeverfahren).

Nachdem die Antragsgegnerin zu 2) Vergleichsproben und Bemusterungen der von der Antragsgegnerin zu 1) eingereichten Muster durchgeführt hatte, teilte sie mit, dieser den Zuschlag erteilen zu wollen. Nachdem die Antragstellerin im Nachprüfverfahren eine Patentverletzung durch die Antragsgegnerin zu 1) rügte, erklärte sie jedoch die Wiedereröffnung der Phase der Angebotsbewertung, um die Antragsgegnerin zu 1) nach einem späteren externen Gutachten endgültig aus dem Verfahren auszuschließen.

Auf den Antrag der Antragstellerin, auf Anordnung eines Besichtigungsverfahrens und nach Erlass einer Duldungs- und Sicherungsverfügung gegenüber beiden Antragsgegnern, ordnete das LG Düsseldorf am 20.11.2020 das Besichtigungsverfahren nur gegenüber der Antragsgegnerin zu 1) an. Das Besichtigungsverfahren wurde im Dezember 2020 durchgeführt.

Einen weiteren Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegnerin zu 2) wies das LG Düsseldorf mit Beschluss vom 17.08.2021 zurück. Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin half es mit Beschluss vom 31.08.2021 nicht ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass es nicht zuständig sei und die Besichtigung zudem nicht erforderlich sei, da eine Besichtigung bei der Antragsgegnerin zu 1) möglich sei.

Das OLG Düsseldorf änderte den Beschluss teilweise ab und fasste ihn neu. Die weitergehende sofortige Beschwerde wies das OLG Düsseldorf zurück.

II. ZUR ENTSCHEIDUNG

1. ZUSTÄNDIGKEIT FÜR BESICHTIGUNGSVERFAHREN BESTEHT AUCH BEI LAUFENDEM VERGABEVERFAHREN

Das OLG entschied, dass es auch bei laufendem Vergabeverfahren für Anträge auf Durchführung eines Besichtigungsverfahren sowie Duldungsverfügungen zuständig sei.

Die aufdrängende ausschließliche Sonderzuweisung des § 156 Abs. 2 GWB stehe der Zuständigkeit nicht entgegen, da der Antrag auf Durchführung eines Besichtigungsverfahrens nicht auf einem Anspruch im Sinne der Norm beruhe. „Sonstige Ansprüche“ im Sinne des § 156 GWB könnten auch außervergaberechtliche Rechtsnormen sein, die subjektive Rechte gewähren und einen Bezug zum Vergabeverfahren haben. Insbesondere könne über § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB, in dem der Ausschluss von Unternehmen vom Vergabeverfahren wegen schwerer Verfehlungen geregelt ist, inzident auch eine Patentverletzung geprüft werden. Die Sonderzuweisung des § 156 Abs. 2 GWB betreffe allerdings nicht solche Ansprüche, mit denen kein Primärrechtschutz im Vergabeverfahren begehrt werde. Der beantragte Besichtigungsanspruch diene aber lediglich der Vorbereitung patentrechtlicher Ansprüche. Insoweit seien die ordentlichen Gerichte parallel zuständig. Die Geltendmachung patentrechtlicher Ansprüche solle während des laufenden Vergabeverfahrens nicht suspendiert sein.

2. BEMUSTERUNG UND ERPROBUNG IM VERGABEVERFAHREN KANN EIN PATENTVERLETZENDES GEBRAUCHEN I.S.V. § 9 S. 2 NR. 1 PATG SEIN

Das OLG Düsseldorf begründete außerdem, dass die Bemusterung und Erprobung eines patentverletzenden Gegenstandes im Vergabeverfahren ein „Gebrauchen“ im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG darstellen könne.

„Gebrauchen“ i.S.v. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG sei weit zu verstehen und umfasse jede sinnvolle im weitesten Sinne bestimmungsgemäße Verwendung. Bei Sachpatenten komme es insbesondere nicht auf den – in diesem Fall militärischen – Verwendungszweck an.

Zudem sei die Erprobung nicht durch § 11 Nr. 2 PatG privilegiert. Privilegiert sei lediglich die Gewinnung von Erkenntnissen über den Gegenstand der Erfindung. Im Vergabeverfahren dienten die Versuche allerdings nicht dem technischen Fortschritt, sondern lediglich der Durchsetzung wettbewerblicher Zwecke.

3. BESICHTIGUNG WAR ERFORDERLICH

Die Besichtigung sei auch erforderlich gewesen, da eine Kriegswaffe nicht am Markt erworben werden könne. Außerdem sei eine Besichtigung bei der Antragsgegnerin zu 1) nicht gleich geeignet gewesen. Die Antragstellerin habe bei der Besichtigung bei der Antragsgegnerin zu 1) verschiedene Zeichnungen mit unterschiedlichen Ausgestaltungen sowie Ausführungsformen gefunden, die der jüngsten Zeichnung vom Tag der Übergabe der Zeichnungen und Muster entsprächen. Da regelmäßig zunächst Zeichnungen erstellt und erst dann nachgebaut würden, läge es nahe, dass bei der Antragsgegnerin zu 2) andere, ältere Ausführungsformen aufgefunden werden könnten als bei der Antragsgegnerin zu 1).

Dr. Benedikt Walesch