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BGH Urteil vom 15.02.2022, FX ZR 18/20 – Fahrerlose Transporteinrichtung: Verspätung in der Nichtigkeitsberufung
Der BGH hatte mit dem Urteil vom 15.03.2022 zu entscheiden, ob die Patentinhaberin den letztlich entscheidenden Hilfsantrag erst verspätet gestellt hatte. Mit Spannung wurde erwartet, ob der BGH sich der erheblich strengeren Linie des Europäischen Patentamts annähert oder bei seiner eher großzügigen Linie bleibt.
I. Sachverhalt
Die Klägerin hatte gegen das Streitpatent Nichtigkeitsklage erhoben.
Das Bundespatent kam mit dem qualifizierten Hinweis zu dem vorläufigen Ergebnis, dass das Streitpatent patentfähig sei. Daraufhin reichte die Nichtigkeitsklägerin weitere Entgegenhaltungen (u.a. D19) ein und diskutierte diese umfangreich. Die Patentinhaberin reagierte darauf erstmals mit zwei Hilfsanträgen und ging umfangreich auf den neuen Vortrag der Nichtigkeitsklägerin ein. Dabei ist die Patentinhaberin allerdings nicht auf den in dem Berufungsverfahren entscheidenden Aspekt eingegangen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent eingeschränkt aufrechterhalten. Hiergegen hat die Patentinhaberin Berufung eingelegt.
Im Rahmen der Berufungsbegründung hat die Patentinhaberin weitere Hilfsanträge (u.a. B1) gestellt . Erst in einer weiteren Stellungnahme hat sie den letztlich entscheidenden Hilfsantrag B6 gestellt, welcher nur geringfügige Änderungen zu dem Hilfsantrag (B1) vorsah. Beide Hilfsanträge bezogen sich auf einen später maßgeblichen Aspekt, auf welchen im Anschluss die Nichtigkeitsklägerin schriftlich sowie mündlich Stellung genommen hat.
II. Entscheidung
Der BGH hat mit dem Urteil vom 15.03.2022 entschieden, dass der entscheidende Hilfsantrag B6 den Anforderungen des § 116 PatG genügt.
Sachdienlich gemäß § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG ist nach der Rechtsprechung des BGH ein weiterer Hilfsantrag in der Berufungsinstanz nur dann, wenn die Patentinhaberin zur Stellung dieses konkreten Hilfsantrags in der ersten Instanz nicht veranlasst war.
Eine Veranlassung der Patentinhaberin sah der BGH nicht als gegeben an. Die Patentinhaberin war demnach weder durch den qualifizierten Hinweis noch durch die weiteren Entgegenhaltungen seitens der Nichtigkeitsklägerin veranlasst, den konkreten Hilfsantrag B6 bereits in der ersten Instanz zu stellen. Letzteres begründet der BGH damit, dass der im Berufungsverfahren entscheidende Aspekt in der ersten Instanz noch nicht thematisiert wurde. Für die Patentinhaberin sei es aufgrund der nach dem qualifizierten Hinweis eingereichten zahlreichen weiteren Entgegenhaltungen, sowie der Breite des Vortrags der Klägerin nicht absehbar gewesen, dass es auf diesen konkreten Aspekt später entscheidend ankommen würde.
Zudem sah der BGH den Hilfsantrag B6 nicht als verspätet an. Nach der Begründung war die Patentinhaberin mit der Berufungsbegründung zwar veranlasst, den Hilfsantrag B6 zu stellen. Dies begründet der BGH damit, dass die Patentinhaberin bereits mit der Berufungsbegründung auf den später maßgeblichen Aspekt eingegangen ist und diesen bereits mit dem Hilfsantrag B1 adressiert hatte. Darüber hinaus hätte sie erkennen können, dass der Hilfsantrag B1 nicht ausreichen könnte, um den diskutierten Stand der Technik zu überwinden.
Aufgrund der vorherigen inhaltlichen Diskussion und der nur geringen Abänderung des Hilfsantrags war nach der Entscheidung aber keine Verzögerung des Berufungsverfahrens zu besorgen, sodass die Voraussetzungen einer Verspätung nicht vorlagen.
III. Einordnung
Mit dieser Entscheidung hat sich der BGH gerade nicht der strengen Linie des Europäischen Patentamts mit der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) angenähert. Nach Art. 13 VOBK (2020) muss die Patentinhaberin eine verspätete Stellung eines Hilfsantrags im Beschwerdeverfahren ausreichend entschuldigen. Ob durch die spätere Stellung eine Verzögerung eingetreten ist, ist unerheblich. Die Beschwerdekammern wenden die Verspätungsvorschriften des Art. 13 VOBK (2020) zudem äußerst konsequent an. Für das deutsche Nichtigkeitsverfahren hat der BGH die Verspätungsregeln mit dem vorliegenden Urteil erneut definiert. Aufgrund der offenen Formulierung des § 116 Abs. 2 PatG hat der BGH aber in jedem Fall Spielraum je nach Einzelfall § 116 Abs. 2 PatG mit weiterer Rechtsprechung auszugestalten.
Carsten Plaga